von Annett Bergk und Tamara Popp
Dauerzustand Krise! titelte jüngst „PR-Journal“ Chefredakteur Thomas Dillmann einen Kommentar und plädierte für emotionale Abrüstung und Besinnung auf die Grundwerte einer demokratischen Auseinandersetzung. Einen Beitrag dazu wollte der Krisenkommunikationsgipfel 2020 am 4. März leisten und forderte rund 200 Fach- und Führungskräfte auf, über die professionelle Bewältigung und wertsteigernde Kommunikation in kritischen Situationen zu diskutieren.
Paradigmenwechsel in der Krisenkommunikation: Vorbereitung statt Reaktion
Aus Zürich und Eckernförde, Köln und Leipzig: Viele der Teilnehmer nehmen einen weiten Weg auf sich, um den Diskussionen im Haus der Wirtschaft in Stuttgart beizuwohnen. Nicht zuletzt durch Corona ist das Thema Krisenkommunikation allgegenwärtig; rund 40 Teilnahme-Absagen gibt es allein deswegen am 4. März. Und die Aufgabe ist eine internationale, wie Katinka Kelley, Senior Manager Crisis Communications Lufthansa Group bei der Deutschen Lufthansa betont: „Eine Krise ist heute immer gleich eine digitale Kommunikationskrise“, sagt sie. „Die Zeiten der ‚Golden Hour‘ sind vorbei. Ziel ist es heute, innerhalb der ersten 15 Minuten zu reagieren.“ Sie beschreibt eindrucksvoll, wie die Lufthansa heute kommunikativ auf den Krisenfall vorbereitet ist – von Family Communication Management über Logistics hin zu Templates für Darksite und Holding Statements, um die Kommunikationshoheit zu haben. Auch Carsten Senz, Head of Corporate Communications bei Huawei Technologies, beschreibt den Paradigmenwechsel von einer breit gefächerten, reaktiven Krisenkommunikation hin zu einer aktiven, dialogorientierten und zielgenauen Kommunikation, auf die man sich durchaus vorbereiten könne und müsse.
Auch Cyberkrisen rücken vermehrt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Kaum ein Unternehmen kann auf eine Kommunikationsstrategie verweisen, die in einer kritischen Situation autark von Firmensoftware, unabhängig von externen Beratern und gar mit abhörsicheren Leitungen funktioniert. Stefan Rojacher, Head of Corporate Communications Europe bei Kaspersky, plädiert als Learning aus der Cyber-Spionage-Attacke von 2015 für Transparenz-Grundsätze und die Stärkung der unternehmenseigenen Kommunikationskanäle in Zeiten der Prosperität. Auch Sarah Ochs, Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Fiducia & GAD, die per Telefon zugeschaltet wird, setzt in ihrer Ausführung zum Umgang mit Krisen von Datenschutzpannen über plötzliche Todesfälle hin zu einem Bombenfund auf die Ausarbeitung von Learnings. Für sie sind fünf Punkte entscheidend:
- Prävention: technisch und kommunikativ.
- Lernen: und zwar auch aus Fehlern.
- Aufklärung: Integrität und Seriosität.
- Übung: professionelle Trainings unterschiedlicher Szenarien.
- Mut: Es gibt keine dummen Fragen.
Krise fragt nach Haltung und nach Werten
Reputation und Krise: Zwei Dinge, die sich in der fachlichen Diskussion stereotyp exkludieren. Doch Krisenfälle können Haltung zum Vorschein bringen und nachhaltig die Positionierung schärfen, wie Thomas Koch, Direktor Strategische Kommunikation der Staatsoper Stuttgart, eindrucksvoll an den Beispielen #FreeKirill, der Kleinen Anfrage der AfD und der „Vielfalt-Beflaggung“ bei der „Demo für alle“ erläutert. Von Bedeutung ist dabei die Orchestrierung interner und externer Kommunikation – was wiederum Astrid Deilmann, Leiterin Digitale Kommunikation bei WWF Deutschland, nur bestätigen kann: „Wir haben im Krisenfall sehr viel Recherche-Arbeit zu leisten – intern und extern“, sagt sie. „Alle Fakten müssen gecheckt und ggf. intern aufgedeckte Schwachstellen aktiv und transparent angegangen werden.“
Die anschließende Podiumsdiskussion von Johannes Schumm, Leiter Unternehmenskommunikation beim Flughafen Stuttgart, Peter Hackmann, Leiter Unternehmenskommunikation bei der Meyer Werft, Achim Wiese, Pressesprecher und Referatsleiter Verbandskommunikation bei der DLRG, Markus Erlwein, Pressesprecher beim Volksbegehren Artenvielfalt und dem LBV, und Patric Salize, Global Communication Hubs Coordinator bei Greenpeace International, zeigt die Entwicklung hin zu einer dialogorientierten Krisenkommunikation in aller Breite: Der Stuttgarter Flughafen setzt auf die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten mit der Bewegung Fridays for Future. Die Meyer Werft schreibt sich Nachhaltigkeit auf die Flagge. Die DLRG nutzt die Solidarität innerhalb des Vereins, um Unterschriften für ihre Petition einzusammeln. Das Volksbegehren Artenvielfalt klärt in Schulen über Umweltthemen auf. Greenpeace schließt Allianzen und beschäftigt sich eingehend mit den eigenen Schwächen … „Wir sind alle wesentlich pragmatischer geworden“, bringt es Hackmann auf den Punkt. „Früher wurden regelrecht Glaubenskriege ausgefochten.“
Auch Robert Buchmeier, Head of Technology, Product & Heritage Communications bei der ZF Friedrichshafen, zeigt sich in seinem anschließenden Beitrag verständnisvoll gegenüber der öffentlichen Meinung: „Wir wollen zeigen, wie wir die Mobilität wieder in Balance mit unserem Leben bringen können.“ Er nutzt die vermeintliche Krise als Chance für die Kommunikation und Impuls für die Entwicklung von Geschäftsbereichen. Heute wird geredet, es werden Kompromisse geschlossen und Lösungen gefunden. Das klingt ganz nach emotionaler Abrüstung und demokratischer Auseinandersetzung.
Interne Kommunikation und Fakten-Basis
Bei Großschadensereignissen ist es nicht ganz so leicht. Dazu berichtet Romina Rochow, Leiterin Unternehmenskommunikation und Pressesprecherin der DRK-Kliniken Berlin vom Blackout des 19. Februar 2019, bei dem zunächst „nur“ der Strom ausfiel, später jedoch das Notstromaggregat nicht mehr einwandfrei funktionierte. Wenn der Strom ausfällt, wird selbst die interne Kommunikation zur großen Herausforderung. Diese steht auch angesichts der derzeit sehr dynamischen Lage durch den Coronavirus im Fokus. Es gibt vor Ort keinen positiv getesteten Fall (Stand 04.03.2020) und so konzentriert man sich in der komplexen Situation kommunikativ auf die interne Kommunikation.
Als Abschlussrednerin mahnt Anke Schmidt, Senior Vice President Corporate Communications and Government Relations bei BASF, dass eine Krise lange währen kann. Sie spricht damit auf die Explosion vom 17. Oktober 2016 auf dem BASF-Gelände an, die bis heute intern und extern Kommunikationsthema ist. „Wir müssen faktenbasiert kommunizieren, aber nicht immer haben wir alle Fakten gleich beisammen“, sagt sie.
„Von Cyberangriffen, über Coronavirus bis hin zu Explosionen – die Fallbeispiele des diesjährigen Kommunikationsgipfels waren super interessant, teilweise auch emotional bewegend“, resümiert Tamara Popp, Vorstandsvorsitzende der Public Relations Initiative Hohenheim (PRIHO). „Ich konnte mitnehmen, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt, sich selbst und die Institution, für die man arbeitet, zu stärken.“ Im kommenden Jahr wird der Krisenkommunikationsgipfel in Leipzig stattfinden. Eine empfehlenswerte Reise.